Text der Dankesrede zur Verleihung des Preises der Stadt Wien am 21. November 2018

Sehr geehrte Frau Stadträtin Kaup-Hasler! Geschätzte Jurymitglieder! Liebe Preisträgerinnen und Preisträger! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Freunde!

Als ich im Sommer die erfreuliche Nachricht erhielt, dass ich unter den heutigen Preisträgern den Preis für Publizistik verliehen bekomme, hat man mich informiert, dass mir, einer Tradition folgend, die ehrenvolle Aufgabe zufällt, die Dankesrede zu halten. Und zwar nicht nur in meinem Namen, sondern im Namen aller heute Ausgezeichneten.

Sich im Namen aller zu bedanken, ist allerdings leichter gesagt als getan, denn „Dank“ ist oft etwas (sehr) Persönliches. Das sage ich, weil ich vor zirka zwei Jahrzehnten, bei einer persönlichen Ehrung — es ging um die Verleihung des Goldenen Ehrenzeichens für Verdienste um das Land Wien — in diesem Saal anwesend war. Der Dankesredner unter den drei Geehrten hat die Veranstaltung gleichsam gekapert und nicht nur gefühlte eineinhalb Stunden über sich und seinen früheren Arbeitsplatz geplaudert. Kein Wunder, dass sich der Saal mit zunehmender Dauer spürbar geleert hat! (Ich glaube, weitere Zeitzeugen sitzen heute im Wappensaal.) Das will ich heute nicht wiederholen und mich daher kurz fassen.

Die alljährlich seit 1947 verliehenen Preise der Stadt Wien sind die höchsten Auszeichnungen, die die Stadt auf dem jeweiligen Gebiet zu verleihen hat. Sie sind ein Sichtbarmachen der Wertschätzung und Anerkennung der Stadt für hier lebende und wirkende Personen, die sichtbare Leistungen auf verschiedensten Gebieten hervorgebracht haben. Diese Ehrung ist nicht nur mit einer entsprechenden Urkunde verbunden, sie ist auch eine großzügige materielle Anerkennung. Darüber hinaus möchte ich festhalten, dass das Preisgeld heuer von der Stadt Wien von 8.000 auf 10.000 Euro pro Kategorie erhöht wurde, was auch von uns Preisträgerinnen und Preisträgern mit Sicherheit hoch geschätzt wird.

Auf der Suche nach einem Thema für diese Rede habe ich einen meiner Söhne nach einer Anregung gefragt, und er meinte, ich sollte über Sprache, Spracherwerb und konkret über meinen Weg zur deutschen Sprache sprechen. Wir leben ja in einer Zeit, in der allenthalben und von den 8 Millionen plus Bildungsexperten im Lande (zu denen ich mich nicht zähle) über die Sinnhaftigkeit oder Nicht-Sinnhaftigkeit von Deutschförderkursen diskutiert wird, unter Ausschluss derjeniger, die die Landessprache halbwegs beherrschen. Nur darf man nicht nur in Sonntagsreden — oder wie es Simon Wiesenthal in einem anderen Zusammenhang einmal formulierte: „für den Export“ — für Integration eintreten und verlangen, dass Einwanderer die Landessprache lernen. Man muss auch wenigstens den Anschein erwecken, dass man das wirklich will und ausreichende finanzielle Mittel zur Verfügung stellen. Wir leben auch in einer Zeit, wo eine Unwillkommenskultur sich als beliebig ausbaubar erweist. Und zwar durch das Schüren von Ängsten und neuen Bedrohungsszenarien, durch Grenzinszenierungen. Es gibt wohl keine sichtbaren Krisen, wohl aber Herausforderungen. So wie ich es sehe, bin ich der einzige heute Geehrte mit „Migrationshintergrund“. Wenn das nicht der Fall sein sollte, habe ich vermutlich den längsten Migrationsweg, ja von der breiten kanadischen Prärie mit einigen Zwischenaufenthalten nach Wien und zum Institut für Germanistik und zum ORF. Ich bin nicht familiär vorbelastet, wie damals manche Schulkollegen, deren Eltern aus Deutschland oder Österreich ausgewandert sind. Obwohl ich damals noch relativ jung war, kann ich mich noch an eine Migrationswelle nach Kanada nach dem Ungarn-Aufstand im Jahr 1956 erinnern, als Kinder mit ungarisch klingenden Namen in die Schule kamen. Später kamen viele Tschechen nach der Niederschlagung des Prager Frühlings. Ich bin in einer — um den pejorativen Begriff zu verwenden — „Multi-Kulti“-Atmosphäre aufgewachsen, und meine Geburtsstadt Winnipeg dürfte die größte ukrainische Stadt außerhalb der Ukraine gewesen sein. Es kam mir vor, als ob die Bürgermeister immer irgendwas …. Tschuck hießen. Sonst gibt es viele Parallelen zur Einwanderungsstadt Wien.

Mein Vater kam aus England, genau genommen aus Nottingham (bekannt durch Robin Hood und den Sherwood Forest!). Also ein Zugereister! Mein Großvater mütterlicherseits ist in Devonshire in England geboren und wanderte früh nach Manitoba aus, wo er nach der Entwicklung von klimaresistenten Getreidesorten international geehrt wurde. 1917 gewann er die Weltmeisterschaft für Weizenanbau, später wurde er zum „Weizenkönig von Manitoba“ ernannt. Also nix Deutsch! In der Schule interessierten mich das Fach Geographie und ferne Länder und ihre Sprachen. Ein Lieblingsfach war Französisch – übrigens als zweite Amtssprache Pflicht und gleichzeitig ziemlich das am meisten gehasste Fach in der ganzen Schule. Nachdem ich in späteren Jahren einen schlechten Französisch-Lehrer erleben musste, habe ich mich entschlossen: einer muss das besser machen. Ich habe zwar später Romanistik studiert, aber, wie Sie sehen, bin ich nicht Gymnasiallehrer in Kanada geworden. Mit 12 ist mein Vater — damals Sanitäter in der kanadischen Armee —nach Nordrhein-Westfalen in Deutschland versetzt worden. Dort blieben wir zwei Jahre, eingeschlossen in einer kanadischen Kolonie, und am Ende dieses Erlebnisses reichten meine Deutschkenntnisse für „Noch ein Bier!“ und „Auf Wiedersehen“ aus. Das Erlernen der Sprache begann erst richtig mit einem Deutsch für Anfängerkurs an der Queen’s University in Kingston, Ontario. Ich hatte Romanistik und Germanistik inskribiert. Das dritte Jahr des Studiums verbrachte ich mit meinen ungeprüften/ungetesteten Deutschkenntnissen an der Universität in Freiburg im Breisgau. Ich könnte nicht behaupten, dass ich richtig „studiert“ habe, die Angst, sich in einer Fremdsprache zu blamieren, war zu groß und in diesem Jahr habe ich mehr Französisch gesprochen als Deutsch. Ich erinnere mich noch gut an eine Lehrveranstaltung für ausländische Studenten zum Aufbau des Wortschatzes. Da lernten wir alle möglichen Redewendungen mit Körperteilen wie ‚das liegt mir im Magen‘, ‚da fällt mir ein Stein vom Herzen‘, ‚ein Herz und eine Seele‘, ‚über die Leber laufen‘ etc. etc. Dabei lernte ich auch, andere Teilnehmer nachzuahmen, die Deutsch mit einem dicken amerikanischen, britischen oder französischen Akzent sprachen. Das erste neue deutsche Wort, das ich dort lernte, war „Feierabend“. Ich war halb verhungert und hätte mich in einem Lokal sonst geniert, wenn ich dem Kellner etwas falsch gesagt hätte. Ich ging spätabends zu einem Würstelstand, um eine Bockwurst oder Bratwurst zu essen (und wäre mit dem einen Wort ausgekommen), aber der Mann sagte etwas von „Feierabend“. Ich habe nicht gewusst, was er damit meint, es war an dem Tag kein Feiertag, also wieso „Feierabend“? Er wollte natürlich zum Ausdruck bringen, dass es spät war und er zusperren wollte. So ist mein deutscher Wortschatz erweitert worden. Es konnte nur mehr bergauf gehen. Um es abzukürzen, habe ich mein Studium der Germanistik und Romanistik abgeschlossen und dann den M.A. in Germanistik im Herbst 1970 mit einem Aufenthalt in Wien begonnen. Und zwar hatte ich für Österreich ein Stipendium vom Bundesministerium für Unterricht und Kunst im Rahmen der Aktion „Bewerber aus aller Welt“ bekommen, und beim großen Treffen der Stipendiaten hatte ich das Gefühl, der einzige zu sein, der nicht aus einem Entwicklungsland gekommen war. Vielleicht war die öffentliche Atmosphäre damals anders als heute, ich kann es nicht sagen. Wie auch immer: ich teile die Meinung des ehemaligen Bundespräsidenten Heinz Fischer, der kürzlich in einem Interview zu seinem 80. Geburtstag zur Flüchtlingsproblematik aufhorchen ließ. Er meinte, er sei „sehr besorgt“, „Wenn man Aversionen gegen Flüchtlinge spüre und eine gezielte Politik betrieben werde, ‚um Flüchtlinge aus dem Land hinaus zu vergraulen‘ – auch indem man sie etwa bei der Mindestsicherung herabstuft.“

Nach dem Abschluss bin ich 1972 nach Wien zurückgekehrt, um das Doktoratstudium zu beginnen. Von der Schwierigkeit der Sprache her hätte ich einen „leichteren“ Dichter als Robert Musil wählen können, aber wie auch immer. Wenn ich an den Weg zur Sprache denke, fällt mir der Novellenband Drei Frauen ein, wo Kommunikation durch Sprache ein Hauptthema ist, vor allem in der Novelle Tonka. In seinem Tagebuch schreibt Musil: „Es sind die ‚armen Mädchen‘, die nicht sprechen können. Die Rede ist nicht nur ein Machtmittel, sondern ein Sinn mehr zur Aufnahme der Welt. (…) Etwas gut ausdrücken ist mehr als es gut sehen.“ (I, S. 171) Ein Erlebnis hatte ich mit meinem „Deutsch als Fremdsprache“ beim Rigorosum im Alten Fach. Im Gegensatz zu heute war das keine kommissionelle Prüfung, und mein Gegenüber war Frau Prof. Blanka Horacek. Im Vorfeld hatte man mir dringend geraten, bei ihr das Wort ‚Nibelungenlied‘ auf der ersten Silbe zu betonen, sonst könnte man gleich heimgehen. Ich habe mich darangehalten, mich aber zugleich gefürchtet. Neben einer Frage nach der ersten mittelhochdeutschen Dichterin (der Name ist mir nicht eingefallen) haben wir über die Ablautreime im Nibelungenlied gesprochen und dann wechselte sie das Thema zur Herkunft meiner deutschen Sprache. Für sie war klar, dass ich aus der Gegend südlich von Köln stammen musste. Punkt. Ich versuchte sie — ohne Erfolg — zu korrigieren mit dem Nebeneffekt, dass ich das angenehme Gefühl hatte, dank dieser Diskussion gut die Hälfte der Prüfungszeit hinter mich gebracht zu haben.

Nach etwas mehr als zwanzig Jahren im Lande habe ich — und das als nicht mehr aktiver Eishockeyspieler — die doppelte Staatsbürgerschaft bekommen und bin stolz darauf, nicht nur kanadischer, sondern auch österreichischer Staatsbürger zu sein. (Ob ich deshalb auf irgendeiner Liste mit Doppelstaatsbürgerschaften stehe, weiß ich nicht.) Nebenbei bemerkt: als aktiver Eishockeyspieler hätte ich gleich Anspruch auf eine Rot-Weiß-Rote-Karte gehabt. Bei Eishockeyspielern hat diese Politik des „eigentlich wollen wir es gar nicht, aber wir müssen so tun als ob“ wenigstens funktioniert.

Zum Abschluss möchte ich auf das Zitat von Robert Musil zurückkommen, wo er meint, die Rede — man könnte das auch Sprachfähigkeit nennen —sei ‚ein Sinn mehr zur Aufnahme der Welt‘. Das könnte man in einem zeitgenössischen Kontext mit ‚sprachlicher Integration‘ gleichsetzen. Und die ist wichtig. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!

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