Alte Räder neu erfinden. “Arisierung” im österreichischen Buchhandel
Tina Walzer/Stephan Templ: Unser Wien. “Arisierung” auf österreichisch. Berlin: Aufbau Verlag 2001.
Verlags(voraus)werbung und Verlagsneuerscheinungen können inhaltlich von einander stark abweichen, und das ist manchmal gut so. Für den Sommer 2001 war vom Aufbau Verlag in Berlin – man fragt sich unwillkürlich: warum kein österreichischer Verlag, wo die NS-Zeit ein salonfähiges und enttabuisiertes Thema ist – das Buch Unser Wien. “Arisierung” auf österreichisch angekündigt, auf den Markt gekommen ist es erst im Oktober. Der Titel ist wenigstens gut gewählt und drückt in beiden Teilen eine kaum verborgene Ironie aus. Ein Stadtführer noch anderer Art, als wir “andere Arten” schon gewohnt sind.
Viele, die sich 60 Jahre post festum mit der NS-Zeit und den vielen Themen, die damit zusammenhängen, befassen, glauben, sie seien die ersten an der Reihe. Nein, sie sind – beinahe kreuzzughaft – überzeugt davon. Da sind erst recht heimische Journalisten nicht ausgenommen. So auch die Autoren dieses “Lesebuches”. Der Verlag behauptet in seiner Kurzbeschreibung:
“Die erste Publikation, die Akteure der Arisierung nennt” und schließlich: “Sie (die Autoren) schildern das Schicksal der Bestohlenen und nennen die ‚Ariseure’ – ein Novum in Österreich.” Diese überaus kühne, weil durchaus falsche Behauptung wird im Buch selbst allerdings nicht wiederholt, dafür aber auf dem Einband. Warum auch? Die “Literatur” im Anhang widerlegt dies ohnehin. Doch zurück zur Verlagswerbung: “Die rassistischen Restitutionsgesetze, in den späten vierziger Jahren von hohen Nazi-Juristen und ‚Arisieuren’ verfasst, sind noch in Kraft. 1986, nach der Wahl Kurt Waldheims, wurden wichtige Restitutionsakten vernichtet.” Was ersteres betrifft, wird diese plakative Anklage in der Buchpublikation nicht näher beleuchtet, obwohl sie durchaus diskutierenswert wäre. Das Feilschen um die vielen Restitutionsgesetze war, und das wissen wir nicht erst seit Walzer und Templ, kein Ruhmesblatt der österreichischen Geschichte. Und man braucht nicht Sympathisant des damaligen Bundespräsidenten zu sein, will man keinen Zusammenhang erkennen zwischen der Wahl Waldheims und der Skartierung des Bestands der Rückstellungsakten (die unter dem FPÖ Justizminister Harald Ofner vorgenommen wurde) im Archiv des Landesgerichts für Zivilrechtssachen in Wien. Die Skartierung fand übrigens vor der Wahl Waldheims statt. Ja, a propos Waldheim: was soll die Mitteilung, dass er während seiner Amtszeit in der offiziellen Residenz des österreichischen Staatsoberhaupts, Wien 19, Hohe Warte 36, wohnte? Oder, dass dem jetzigen Amtsinhaber der Bau “zu wenig repräsentativ” (S. 203) sei? Soll der Leser zu einer Demonstration aufrufen? Soll er grantig werden?
Von welchem Erkenntnisinteresse werden die Autoren geleitet? Ich weiß es nicht. Gelesen habe ich folgendes: “Die Ereignisse der Enteignung sind tatsächlich Geschichte, nicht jedoch jene der Restitution: Sie reichen bis in die Gegenwart hinein. Nach wie vor ist die Frage der Rückgabe geraubten jüdischen Eigentums im österreichischen Rechtsbewußtsein ungeklärt. Hier muß moralisches Umdenken mit einer neuen juristischen Beurteilung verbunden werden, doch dies ist bisher nicht geschehen. Daher steht im folgenden die Darstellung der Enteignung und ihrer weitreichenden Auswirkungen im Mittelpunkt. Die Umstände der Restitutionsverfahren hingegen mit all ihren juristischen Implikationen zu klären kann nicht Aufgabe dieses Buches sein.” (S. 8) Das glaube ich auch.
Der zweite Teil des Buches – von Stephan Templ – unter der Überschrift “Topographie des Raubes. Ein Katalog” befasst sich – man höre und staune – (in alphabetischer Reihenfolge, und daher schon an dritter Stelle) mit “Buch- und Verlagsgewerbe”. Auf immerhin vier Druckseiten finden – bezirksweise geordnet – die Namen einiger Buchhandlungen und Verlage Erwähnung: Frick, Manz, Kende, Phaidon Verlag, Kuppitsch, Bermann Fischer, Zsolnay, Druckerei Rosenbaum und Internationaler Psychoanalytischer Verlag. Wer hier auf das versprochene “Novum” zu treffen hofft, wird enttäuscht sein: alles schon da gewesen, ja spätestens seit 1985 (Hall: Österreichische Verlagsgeschichte). Also Originalrecherchen auf diesem Gebiet sind schwer erkennbar. Sonst wäre die Aufstellung etwas länger geraten. Die Autoren dieses Buches haben die vielen “Schultern”, auf die sie sich in vielen Bereichen gehoben haben, nicht wenig verdrängt. Nur so kann man hineinplatzen und behaupten, der erste zu sein. Achtung: Das nächste Rad, das erfunden wird, könnten die jüdischen Friedhöfe sein.
(Murray G. Hall)
(In: Mitteilungen der Gesellschaft für Buchforschung in Österreich. 2001-2, S. 26-28.)